Wolf-Dieter Storl
Ur-Medizin – Die wahren Ursprünge unserer Volksheilkunde
2015/AT-Verlag/ EUR 24,95/ISBN: 978-3038008729/303 Seiten
Über den Autor
Dr. Wolf-Dieter Storl ist ein über Deutschland hinaus anerkannter Kulturanthropologe und Ethnobotaniker. Geboren am 1.10.1942 in Crimmitschau, Sachsen, wanderte er als 11-jähriger mit seinen Eltern 1954 nach Ohio, USA aus. Er begann zunächst ein Botanikstudium, wechselte dann aber zur Anthropologie (Völkerkunde). Nach dessen Abschluss wurde er Vollzeitdozent und lehrte über 20 Jahre an verschiedenen Universitäten in Amerika und Europa. In Bern, Schweiz, promovierte er 1974 zum Doktor der Ethnologie. Auf seinen zahlreichen Reisen betrieb er Feldforschung und lernte von Bauern, Medizinmännern und Sadhus. Seit 1988 lebt er mit seiner Familie auf einem abgelegenen Bauernhof im Allgäu, schreibt Bücher und gibt zum Thema Heilkräuter Seminare und Vorträge. Bei der traditionellen europäischen Pflanzenheilkunde, wie die der Kelten, Germanen und Slawen, sowie des frühchristlichen Mittelalters, liegt zur Zeit sein Hauptinteresse. Nicht nur zu diesen Themen hat er zahlreiche Bücher geschrieben, sowie Hörbuch-CDs und eine DVD veröffentlicht.
Über das Buch
„Unsere abendländische Heilkunde hat ihre wahren Ursprünge nicht in der Gelehrtenmedizin der gebildeten Ärzte und Apotheker, sondern geht viel weiter zurück. Ihre Wurzeln liegen in dem Heilwissen der altsteinzeitlichen Jäger und Sammler, der Hirtenmonaden und ersten sesshaften Bauern. Es ist die überlieferte Volksmedizin, das Wissen des einfachen Volkes, der Großmütter und Wurzelfrauen, Hirten und Kräuterseppel.“
Diese Sätze der Inhaltsangabe auf der Rückseite des Buches lassen erahnen, worum Wolf-Dieter Storls „Ur-Medizin“ handelt. Er geht zurück zu den Ursprüngen der Medizin, zur ersten Entdeckung der Heilkräuter in der Steinzeit, behandelt das Neolitikum, die Verbannung sämtlicher Heilpflanzen im 14. Jahrhundert zur Zeit der Pest und Syphilis und schließlich die Wiederentdeckung in der früheren Neuzeit.
Dabei beschränkt er sich nicht nur auf den europäischen Raum, sondern geht auch auf die Entwicklung der Pflanzenmedizin im asiatischen Raum ein.
Von Beginn an wussten die Menschen in Europa die Heilkraft der Pflanzen, die direkt vor ihrer Haustür wuchsen, gegen allerlei Erkrankungen zu verwenden. Storl zählt hier unter anderem Hagebutten, Brombeeren, Berberitzen, Elsbeeren, Vogelbeeren, Haselnüsse oder Bucheckern auf. Darüber hinaus hatten die Menschen auch noch Kontakt zur Anderswelt, schreibt er.
„Im Wald begegnete man auch den heilpflanzenkundigen Naturgeistern, den cleveren Zwergen, Zaubertieren, Elfen und Göttern. Der weise, wilde Rübezahl im Riesengebirge ist ein Überlebender dieser beseelten Waldwelt unserer fernen Vorfahren“. (S. 18)
Und es gab verschiedene Kultorte, heilige Haine, wo die Bewohner des Waldes verehrt wurden. Bis zur Christianisierung.
„Um die mystische Welt der Waldvölker zu zerstören, damit sie den Samen des ‚wahren Glaubens‘ säen konnten, mussten die heiligen Haine und die Kultbäume verschwinden. So ließ Sankt Martin (389-448 n.u.Z.) in Autun (Burgund) eine uralte heilige Kiefer fällen. Sein Schüler, der Bischof von Angers, ließ einen ganzen Wald abbrennen, in dem die Heiden ihre ‚unflätigen‘ Feste feierten.“ (S. 21)
„Ur-Medizin“ ist ein Streifzug durch die Entwicklung der Heilpflanzen. So erklärt Wolf-Dieter Storl den Unterschied zwischen Aufguss, Absud, Abkochung, Kaltwasser- und Warmwasserauszug (S.28/29), geht auf Heilmethoden in anderen Kulturkreisen ein (wie die Bantuvölker im südlichen Afrika) und erklärt den Einfluss, den Heilkräuter auf die Bildung von Märchen hatten, wie das Märchen vom Machandelboom, also dem Wachholder. Auch greift er einzelne Kräuter separat heraus, geht auf deren Geschichte zurück, erzählt über die ursprüngliche Entdeckung als Heilkraut, über die Volksweisheiten und die Sagen.
Und dann finden sich in dem Buch auch noch Stellen, die den Leser über die damalige, zu diesem Zeitpunkt als fortschrittlich gepriesene Medizin, den Kopf schütteln lassen. Ein Beispiel ist der Einsatz von Quecksilber gegen die Volkskrankheit Syphilis im Jahr 1492. Sie kam mit den Schiffen des Kolumbus nach Europa, die Erkrankten verfaulten am lebendigen Leib. Die damaligen Ärzte taten die Heilkräuter der indianischen Ureinwohner als wirkungslos ab. Stattdessen wurde eine aus Quecksilber bestehende Salbe eingesetzt. „Auch wenn die Patienten als Nebenwirkung an Merkurvergiftung – Geifern, drastische Durchfälle, dann eiternde Geschwüre, Nieren- und Darmentzündung, Hepatitis, Haar- und Zahnausfall – schwer zu leiden hatten, galt Quecksilber als Wunderdroge, ähnlich wie Penicillin, Chemotherapie und Bestrahlung in unserem Zeitalter. Ärzte verschrieben nun denen, die es sich leisten konnten, Quecksilberpräparate für alles: Asthma, Babykolik, Gicht, Gelbsucht, Wahnsinn, Krebs, Rachitis, Schnupfen, Pocken und so weiter. (S.226)
Im Nachwort macht Storl noch einmal deutlich, worum es ihm eigentlich geht: um das Wiederfinden, das Wiederentdecken der alten Heilmethoden, der Heilkräuter, von denen sich der moderne Mensch, die moderne Medizin weit entfernt hat.
„Wer kennt überhaupt noch die verschiedenen Kräuter, die da direkt vor der Haustür wachsen, geschweige denn ihre Heilkraft? Wer kann noch telepathisch mit den Tieren sprechen, sich in eine Pflanze hineinversetzen oder die Naturgeister erleben? […] Man kann den Fortschritt auch als eine Ideologie sehen, die die fortschreitende Entfremdung von dem Unmittelbaren, dem Naheliegenden bedeutet. Im selben Maße, in der wir von der Erde unter unseren Füßen, dem Duft des Waldes und der Nähe der Tiere entfremdet werden, wird uns unser eigentliches Wesen, unser Selbst mit vielen seiner Fähigkeiten fremd. […] Die herkömmliche Volksmedizin ist längst kein überwundenes Kulturgut, sondern eine ganzheitliche Sichtweise, die Leib, Seele, Geist, kulturelle Tradition, Ahnenwissen und die uns umgebende Natur einbezieht. Sie ist inzwischen größtenteils dekadent und tatsächlich zum Aberglauben verkommen, aber in ihr liegt ein wahrer Kern. Diesen gilt es wieder zu entdecken.“ (S. 277-284)
Fazit: Vieles, was Wolf-Dieter Storl in „Ur-Medizin“ geschrieben hat, findet sich schon in seinen früheren Veröffentlichungen. Das mag für den einen oder anderen Storl-Fan vielleicht enttäuschend sein, es macht das Buch aber nicht uninteressant. Es ist einerseits eine Zusammenfassung früherer Inhalte, aber nicht ausschließlich. Spannend ist zum Beispiel der Streifzug durch die Jahrhunderte, der nachvollziehbar macht, wie sich das Wissen um die Heilkräuter weltweit entwickelte.
Und es wirft Fragen auf: Ist die moderne Wissenschaft wirklich am Zenit ihres Wissens angekommen? Sollten wir uns nicht wieder rückbesinnen, zurückbesinnen auf die Heilkraft der Pflanzen?
Für die Kräuterbücher-Sammlung ist „Ur-Medizin“ auf jeden Fall empfehlenswert!