Am Beispiel von Seth
“Hail to you, O Seth, son of Nut, the great of strength in the barque of millions, felling the enemy, the snake, at the prow of the barque of Re, great of battle-cry, may you give me a good lifetime…”
Seit ich angefangen habe, mit dem kemetischen Gott Seth zu arbeiten, bemerke ich zunehmende Diskrepanzen vor allem mit anderen Menschen, die schamanisch oder magisch tätig sind. Obwohl solche Diskrepanzen persönlich oft eher verwirrend oder störend sein können, vor allem wenn man mit den entsprechenden Leuten befreundet ist, empfinde ich auch eine gewisse Faszination für solche Wendungen und Ereignisse.
Hat nun Seth mit meinen Diskrepanzen zu tun?
Ich arbeite mit Göttern anders, als ich mit Verbündeten arbeite. Götter SIND anders. Seth war überhaupt die erste Gottheit, zu der ich einen intensiven, geradezu schlagartigen Kontakt herstellen konnte. Nein, falsch: Der einen Kontakt zu mir herstellen konnte. Wenn ich nun intensiv mit einer Gottheit arbeite und nebenbei sozusagen auch schamanisch tätig bin, dann kann es auch nicht ausbleiben, dass etwas von der Gottheit abfärbt. Eigentlich empfinde ich das sogar als wünschenswert, und ich hätte es mit Sicherheit schlechter treffen können als mit Seth.
“O Seth, lord of life, who is upon the prow of the barque of Re, save me from all evil clamour of this year.”
Wer ist nun Seth?
Seth ist eine kemetische Gottheit, das heißt eine Gottheit des alten Ägypten. Da er schon in der vorägyptischen Naquada-Kultur(Um 4000 v. Chr.) erwähnt wird, gilt Seth als ein sehr alter Gott, der wohl auch über einen unglaublichen Zeitraum kultisch verehrt wurde, immerhin bis über das Neue Reich hinaus. Die Rolle des Seth wurde in Ägypten im Lauf der Zeit immer verfemter, was vor allem politische Gründe hatte, aber auch auf seine Rolle im Osiris-Mythos zurückzuführen ist. Dort tötet und zerstückelt Seth seinen Bruder Osiris und benimmt sich in diesem Mythos auch sonst eher…verhaltensauffällig. Trotzdem überwiegen seine positiven Funktionen, und auch während den Zeiten der zunehmenden Verfemung erlosch die Verehrung niemals ganz.
Das ist der historische Teil. Alles Folgende ist nur bedingt „authentisch“, sondern beruht auf meinen persönlichen Erfahrungen und Begegnungen.
“Horus is behind me, Seth is next to my shoulder … Do not attack me! See, a great God [Seth] is the one who is at my side.”
Seth
Seth ist eine ambivalente Gottheit. Er ist der Gott der Wüste, der Gott am Rand, der Schutzherr der Oasen. Der Gott der Stürme und der GEWALT. Der Gott der Stärke. Seth ist der Stärkste der Götter mit den Knochen aus Eisen. Er bringt Konfusion und Chaos, wenn er will, indem er zu sehr erstarrende Strukturen und Regeln und ungute Stagnation erschüttert. Sein Brüllen ist der Donner und die Erde bebt durch seine Stimme.
Seth steht am Bug der Barke des Sonnengottes Re. Die Fahrt der Sonnenbarke durch die Welt und die Unterwelt ist die Schöpfung schlechthin. Ein ständiger Feind der Schöpfung ist Apophis, ein schlangenartiger Urdämon, das Böse schlechthin. Während alle anderen Götter von Apophis hypnotisiert werden, ist Seth immun und drängt das Monstrum zurück. Er rettet Re und die Schöpfung. Sein ambivalentes Wesen gründet auch in Widersprüchen wie seiner Heldenhaftigkeit und anschließenden Verhaltensauffälligkeiten. In einem Mythos ist zum Beispiel davon die Rede, dass Seth wieder einmal Re rettet und daraufhin die Symbole der göttlichen Macht verlangt. Bei Verweigerung wird Re mit Chaos und Stürmen bedroht.
Seth steht im Mythos auch im Widerstreit mit Horus. Horus ist der falkenköpfige Sohn des Osiris, der von diesem auch das weltliche „Königreich“ erbt. Horus ist eine majestätische Würde und Gesetz. Seth ist eher die notwendige Gewalt. Beide stehen manchmal im Widerspruch, aber eigentlich ergänzen sie sich. So gibt es auch Mythen, in denen Horus und Seth relativ einträchtig zusammenarbeite und nebeneinander stehen und beispielsweise auch den König beschützen und das Reich vereinigen.
In dem was man mal schamanische Wahrnehmung nennen könnte ist Seth eine extrem potente Wesenheit. Jemand, der sich nicht aus dem Blick bannen lässt. Selbst in der Anderswelt ist Seth KÖRPERLICH. Hart. Schwarz. Rot. Massiv. Schnell. Brutal. Fast immer trägt er einen Speer oder ein Szepter und IMMER ist er riesig.
Der Kontakt zu ihm ist meistens brachial. Man sieht sich, trifft sich, prallt in einer Art ritualisierter Gewalt aufeinander und arbeitet oder kommuniziert dann.
Seth hat nur selten Verständnis für Empfindlichkeiten, er ist klar in seinem Tun und sehr deutlich bis hin zur rohen Gewalt. Er ist ein Vernichter von Feinden. Er zermalmt Bedrohungen im Vorbeigehen, nur um sich anschließend pikiert zu zeigen, dass man ihm zu wenig Wertschätzung dafür leistet.
“May Set be content, possessing the source of his power.”
Trotz aller Ambivalenz beschützt Seth die Ma’at, die Ordnung und Gerechtigkeit. In der magischen aber auch weltlichen Arbeit ist das auch mein Weltbild und mein Umkreis, „meine Leute“, auch schon mal Klienten. Auch Freunde. Er drängt darauf, Freunde zu beschützen und zu unterstützen, aber macht auch sehr deutlich, wenn er es besser fände, andere zu verstoßen. Obwohl er alles, was die Ma’at bedroht, abwehrt, neigt er auch zu einer gewissen ironischen Verspieltheit mit manchen Bedrohungen. Etwas was er auch schon mal als „Jonglieren mit Idioten“ übermittelt hat. Dabei kommt es schon auch mal wirklich als eine Art Jonglieren rüber, wie er unangenehme Wesenheiten behandelt oder auch übergriffige Möchtegernmagier, nur um sie dann achselzuckend fallen zu lassen und auf sie zu treten.
Seth hat aber nicht nur diese Seite. Er ist ein tiefsinniger Gott, den man auch kränken kann und der zur Liebe fähig ist. Er schätzt Loyalität und ist auch bereit, diese zu gewährleisten und zu geben.